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Montag, 28. Mai 2012

Porträt Juli Zeh (Allegra 2001)

SIE KANN SICH EINFACH NICHT ENTSCHEIDEN*


*Das Gute daran ist: Von dieser Unentschlossenheit wird die Autorin Juli Zeh getrieben. Wie sonst sind drei Uniabschlüsse, eine amtliche Essaypreissammlung und nun ein Debütroman zu erklären?  



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Sommer 1993. Ein Campingplatz irgendwo im Süden Japans. Zwei junge Europäerinnen schlagen ihr Zelt auf. Der Platz ist wie ausgestorben. Und der Taxifahrer gerade ist mit quietschenden Reifen wieder abgefahren. Warum wohl der Sprecher im Radio eben diese eine Durchsage ständig wiederholt hat? Doch weil die Reisenden kein Japanisch können, jung sind und die Welt nur kommen soll, denken sie sich nichts dabei. Windig hier draußen. Man könnte sogar von Sturm sprechen. Die zwei packen – vorsichtshalber - ihre Pässe in die Hosentaschen, wichtige Sachen in die Rucksäcke und die Rucksäcke auf den Rücken. Wenig später klammern sie sich an einen Baum. Der Taifun, vor dem der Radiosprecher gewarnt hatte, schnappt sich das Zelt. Die Frauen beten. Acht Stunden lang.


Sommer 2001. Es war warm in Leipzig in den letzten Tagen. In Juli Zehs riesiger Altbau-Küche segeln dicke schwarze Flocken durch die Luft. Vorbei am Lemonbabies-„Porn“-Plakat und dem Tisch mit einem Durcheinander aus Kerzen, Tabak, Zeitungen, Reiseführern über Kroatien und der Erstfassung von Julis soeben erschienenem Debütroman Adler und Engel. Juli hockt in Jeans und T-Shirt barfuß auf dem Fußboden. In der einen Hand hält sie eine Kaffeetasse, die sie mit einer selbst gedrehten Zigarette abwechselt, in der anderen eine Schermaschine. Hund Othello, acht, eine Mixtur aus Riesenschnauzer und Unschuldslamm, bekommt seine Sommerfrisur. „Wenn ich mit ihm fertig bin“ sagt sie, „sieht er aus wie ein Zierfisch. Vorn und hinten Wuschel, in der Mitte nichts.“ Im Moment wirkt er allerdings eher wie ein schwarzer Flokati, der zur Hälfte einem Rasenmäher zum Opfer gefallen ist.
 Während Juli also schert und trinkt und raucht, alles gleichzeitig, erzählt sie. Von Japan, damals, kurz nach dem Abi. „Klingt richtig lustig heute, oder?“ Ihre selbst gestaltete Frisur - irgendwo zwischen Prinz Eisenherz und Charlotte Roche  - umkränzt dekorativ ein breites Grinsen. Dann nimmt Juli einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und ihre blauen Augen werden ganz schmal und grinsen mit. „Aber damals, als wir an diesem Baum hingen, haben wir gedacht: Das war’s.“ Sich selbst in Situationen zu bringen, die neu sind und aufregend, dabei ab und zu auch mal lebensgefährlich, darin ist Juli Zeh perfekt. Herausforderungen sind dazu da, dass man sie annimmt. Wird schon gut gehen.

 Juli Zeh ist, seit dem 30. Juni – ausgerechnet Juni  - 27 Jahre alt. Sie hat in ihrem Leben bis jetzt eine Menge Herausforderungen angenommen. Meistens ein paar gleichzeitig. Darum hat sie in einem Alter, in dem andere Leute vielleicht gerade mal ihr Erststudium beenden, drei Uniabschlüsse in der Tasche. Der Reihe nach: Das beste Staatsexamen Sachsens in Jura. Ein Diplom in Literarischem Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig – wegen des Instituts ist die Bonnerin auch vor sechs Jahren nach Leipzig gekommen. Und dazu noch einen Magister in einem Aufbaustudiengang zu Internationalem Recht. Als wäre das nicht schon mehr als andere in fünfzig Jahren erreichen, sammelt sie nebenbei Essaypreise wie andere Robbie-Williams-CDs. Und dann ist da natürlich der Roman. „Ich kann mich schlecht entscheiden,“ sagt sie lapidar dazu „und dann mache ich alles auf einmal."
Was ich mich immer gefragt habe, sagt Clara bei Nürnberg, ist, wie man dazu kommt, sich für ein Jurastudium zu entscheiden. (...) Ich bin kein typisches Beispiel, sage ich. Ich habe mir einfach das Studium ausgesucht, das ich mir am wenigsten zutraute.

 Jura jedenfalls hat Juli schon immer interessiert. Ihr Vater, selber Jurist, arbeitet in Berlin am Bundestag. Und, wer weiß, vielleicht  hat sein Versuch, der Tochter das Studium auszureden, für die den Ausschlag zum Anfangen gegeben. Die meint allerdings: „Er wollte nur testen, ob ich wirklich will.“ Ob sie wirklich schreiben will, musste niemand testen. So etwas steht auch für Eltern außer Frage, wenn die Tochter die ersten Erzählungen mit zwölf fertig hat.
 Das letzte Wort zu Adler und Engel hat Juli vor etwa einem Jahr geschrieben. Adler und Engel ist eine Geschichte um den Ich-Erzähler Max. Max ist – wen wundert’s – Anwalt. Er wird am Telefon Zeuge des Selbstmordes seiner Freundin. Er resigniert, beschließt, auf sein Ende zu warten, das er mittels Drogenkonsum beschleunigen will. Doch die Radiomoderatorin Clara, in deren Sendung er angerufen hat, entführt ihn von Leipzig nach Wien, wo er früher gelebt hat. Clara zwingt ihn, seine Vergangenheit aufzurollen. Nach und nach stellt sich heraus, dass Max‘ Leben und seine Liebe zutiefst verstrickt sind mit den Kriegen in Bosnien, politischen Entscheidungen und einer internationalen Drogenbande. Schriftsteller Burkhard Spinnen war Julis Lektor und bescheinigt ihr im Klappentext ein „furioses“ Debüt. Sicher ist: Die Geschichte ist fesselnd und phantastisch geschrieben. So eindringlich, dass man beim Lesen zu Schwitzen beginnt, weil es im Buch ständig wahnsinnig heiß ist.
 Wir prallten gegen die Hitze wie gegen einen unsichtbaren Abwehrschirm. Die Stadt wollte nicht betreten werden. (...)Die Stille war absurd für das Zentrum einer Großstadt, wie auf freiem Feld, nur ohne Grillen.

 Othello ist fertig frisiert. Lag er eben noch reglos wie ein müder Käfer auf dem Rücken, rast er jetzt wie ein wild gewordener Staubsauger kreuz und quer durch die Küche und reibt sich am rauen Teppichboden, einem grauen Relikt aus DDR-Zeiten. Der Juckreiz nach der Rasur ist der Preis für ein heißes Leben an der Seite seines Frauchens. Das verbringt den Sommer mit Vorliebe in Städten, die dafür bekannt sind, dass sich die Straßen dort zwischen Juni und September in gigantische Grills verwandeln. Wien etwa, lange Zeit Julis erklärter Lieblingsfleck auf dieser Erde. Dort hat sie in Kaffeehäusern gekellnert. Und natürlich geschrieben. In New York hat sie später ein Praktikum bei der UNO gemacht . Ein Vierteljahr lebte sie darum in dieser Stadt, die viele für die aufregendste der Welt halten. Frau Zeh blieb unbeeindruckt: „Nach einer Woche habe ich mich gelangweilt.“ Dafür nutzte  sie ihre intimen Kenntnisse für den Roman: „Ich habe die New Yorker UNO nach Wien transportiert.“ Ein Teil der Handlung spielt in der Wiener UNO-City. Juli: „Und da war ich noch nie drin.“
Ich fuhr mit der U-Bahn in den Zweiundzwanzigsten Bezirk und rannte eine halbe Stunde lang über die dicken Teppichböden auf den Korridoren von Block B, (...)

 Viel interessanter als die Welt westlich des Atlantiks findet Juli alles im Osten. „Mein Ostfieber“ nennt sie das. Ihren Roman hat sie in Krakau vollendet. Dort war sie für ein Jura-Auslandssemester  hingegangen. Selbstverständlich ohne ein Wort Polnisch zu sprechen. Sonst wäre das mit der Herausforderung ja nichts geworden. Als sie beim Vermieter ihres Zimmers vorstellig wurde, machte der sie zwischen Tür und Angel mit seinem Sohn bekannt. „Eine merkwürdige Szene. Wir haben uns umständlich im Treppenhaus über das Geländer hinweg die Hand gegeben.“ So fangen in Romanen Liebesgeschichten an. Oder im Leben von Romanschriftstellerinnen. Woitek, so der Name des Herrn, taucht fortan immer wieder in Julis Domizil auf. Und weil der junge Mann neben seinem Job als Produktionsmanager für Film und TV auch noch fotografiert – das Autorenfoto hinten auf dem Roman stammt von ihm – ist Juli bald in der Lage auf polnisch über die Lichtverhältnisse auf einem Foto zu reden. „Aber in der Bäckerei stand ich da und konnte keine Brötchen bestellen.“ Für Woitek  wirft sie ihre siebenjährige Beziehung „in Sekunden“ über Bord. Und bleibt nach Semesterende einfach länger in Krakau. Weil da die Liebe hingefallen ist. Die größte Herausforderung vielleicht.
Max, sagte er, liebe sie. Lass sie nie etwas anderes spüren. Zu Herbert und mir wird sie nicht zurückkommen.

  Wenn man Juli Zeh etwas erzählt, kann es sein, dass sie plötzlich einen Notizblock zückt und sagt: „Moment, muss ich aufschreiben.“ Solche Notizen verarbeitet sie später in ihren Texten. Und wenn man ihr – zum Beispiel - von einer heimlichen Liebschaft  erzählt und sie dann bittet, das nicht zu verwenden? Sie feixt: „Dann sollte man es lieber nicht erzählen.“ Genau darum lesen sich ihre Szenen so authentisch. Und Authentizität ist Juli wichtig. Im Roman kommen fast ausschließlich reale Orte vor. Selbst eine Shell-Tankstelle an der Protagonist Max nachts ein Eis kauft. Die liegt gleich um die Ecke von Julis früherer Wohnung. Direkt neben monströsen Fernwärmerohren, über deren Krümmungen er einmal nachgrübelt.  Auch das in den Holzfußboden gesägte Loch, in dem Juli als Kind Manuskripte vor ihrer sehr interessierten Mutter – einer Übersetzerin - versteckt hat, taucht auf. Dazu eine Handvoll Ereignisse, die irgendwer irgendwann mal erlebt hat, ein Schuss Insider-Wissen aus dem Jura-Milieu und eine Prise Charakterzüge echter Personen. Alles angerichtet mit  Phantasie.
Die Straßenbahnen winden sich, von innen erleuchtet, zwischen den Häuserreihen hindurch. Vielleicht habe ich geschlafen, bäuchlings auf  der Fensterbank.

 Für die nächste Zeit hat Juli Zeh schon mal ein paar Herausforderungen zusammengetragen. Eine Promotion ist angedacht: „Die Magisterarbeit ließe sich vielleicht ausweiten dazu.“ Ihr nächster Roman auch: „Eine Geschichte über dieses Phänomen meiner Generation, in der zurzeit alle ständig reisen. Ich habe Freunde in Prag, Amsterdam, Barcelona, Wien...“ Dann noch ein literarischer Reiseführer über den Balkan. Dort war sie zu Recherchen gerade unterwegs: „Das gibt’s nämlich noch nicht, so was.“ Aber erst mal muss sie nach Breslau, wo Woitek inzwischen des Berufs wegen hingezogen ist. Danach nach Warschau wegen einer Buchmesse. Dazwischen noch nach München. Dann steht das Jura-Referendariat an. Und die Freunde wollen auch besucht sein. Wer Juli Zeh kennt, weiß: Sie wird sich nicht  für eins dieser Dinge entscheiden. Sondern für alle.
 Wir nehmen die Straßenbahn. Ich kaufe Fahrscheine für uns und den Hund, obwohl Clara sich halb totlacht darüber. Schwarzfahren überstieg schon immer meine Nervenkraft.

  Sommer 2001. Der wunderbare Satz „Zum Halten bitte Fahrgastwunsch betätigen“ steht  von innen über der Tür der Leipziger Straßenbahn. Von außen versprach die Beschriftung „Ticket-Automat  im Wagen“. Eine junge Frau steht nervös mit einem großen Hund, der wie ein Zierfisch aussieht – vorn und hinten Wuschel, in der Mitte nichts –vor dem Automaten im Wagen, der nur Geldkarten nimmt. Sie hat keine Geldkarte, wer hat so was schon? Und Schwarzfahren ist nun wirklich die einzige Herausforderung, die sie nicht gerne annimmt.

Porträt Peter Lohmeyer (Allegra 1998)


KEIN MANN FÜR EINE NACHT 

Der Schauspieler Peter Lohmeyer hat nix gegen Kleinbürger, aber Spießer kann er nicht leiden. Ein Porträt über einen Mann, der feine Unterschiede macht

Breitbeinig sitzt der Mann auf dem Sofa. Er ist noch nicht alt, sechsunddreißig, aber er hat seinen Körper schon begraben in hellblauer Ballonseide. Er nestelt das Rippenunterhemd aus der Jogginghose und betrachtet gedankenverloren seinen blassen Bauchnabel. Viele schwarze Haare kräuseln sich dort. "Sacht ma, habt ihr auch so viele Fusseln da?" sagt er zu den anderen Menschen im Zimmer. Gleich wird er rufen: "Mutti, hol ma Bier ausse Küche: Sportschau."

Ich sitze in einem Hamburger Bistro mit adrett orange gewischten Wänden und weiß nicht, was mir Peter Lohmeyers Blick sagen will. Aber er sagt was. Passen würde: "Kleine, runter mit den Klamotten." Oder: "Was? Die haben mir 'ne Frau geschickt?" Oder: "Auf Sie ist eine Knarre gerichtet." So was in der Art.
Macho, schwieriger Charakter, charismatischster Star des deutschen Kinos. Zitate über Peter Lohmeyer, die durch meinen Kopf schwirren. Wird der Typ, der da gerade Coq au vin und "Perrier" bestellt, mir mehr antworten als "ja", "nein" und kein Kommentar"? Aber ich weiß: Der Mann kommt aus dem Ruhrpott. Ich auch. Deshalb setze ich auf Solidarität und erzähle ihm von meinem Studium. Mein Plan funktioniert. "Wo hast du denn studiert?" fragt er. "In Essen", sage ich. Da guckt er schräg von unten hoch und grinst.

Nachdem der Mann den Rasen vor dem Reihenhaus ordentlich gemäht hatte, waren die Rhododendren mit dem Gießen dran. Jetzt ist er fertig mit der Gartenarbeit. "Nicht den Schlauch über den Rasen ziehen, dann wird der dreckig" sagt er zu Mutti, die den gelben Wasserschlauch gerade aufwickeln will. Er hebt ihn auf, sagt: "Geh ma lieber rein, Spargel kochen."

In Essen wollte Peter Lohmeyer auch mal studieren. Schauspiel. An der Folkwang-Schule. "Die haben mir erzählt: Sie sind begabt, aber Sie haben 'nen Sprachfehler. Ich hab gedacht: Sind die bekloppt? Dafür sind die doch da, dass sie mir was beibringen." In Hamburg und Bochum wollten sie ihn dann doch. Der Punkt ging an Bochum. Lohmeyer spielt am Schalke-04-Armband. In Gelsenkirchen-Schalke gibt es keine Schauspielschule.

Eine weißhaarige Dame späht über den Gartenzaun in den frisch gesäten Vorgarten. Warum um alles in der Welt fotografieren die beiden jungen Männer da einen Herrn im Jogginganzug beim Rasensprengen?

Der Mann hat in Filmen wie "Kaspar Hauser" mitgewirkt, aber auch die Theaterbühne gehört zu seinem Aktionsfeld. Gerade kommt sein neuer Film ins Kino: "Zugvögel... einmal nach Inari". Mit Joachim Król, einem alten Freund von Lohmeyer, in der Hauptrolle. Ein Speditionsbeifahrer will zu einem Zugfahrplanwettbewerb nach Nordfinnland. Vorher schlägt er noch seinen Chef ko, weil der ihn entlassen hat. Der Chef wird kurz darauf tot aufgefunden. Lohmeyer ist der Kommissar, der den Verdächtigen nach Finnland verfolgt und dabei langsam selber verrückt wird nach Fahrplänen. Dafür ist er für den Bundesfilmpreis nominiert worden. Seine Rechnung, den Kriminalbeamten schnörkellos zu geben, ist aufgegangen. "Ich hab gedacht: Der Mann kommt aus Dortmund. Da gibt's nicht viele Sperenzchen."

Im Ballonseidenanzug herrscht gelöste Stimmung. "Was sagt ein Macho, wenn er einen geblasen gekriegt hat?" fragt sein Träger. "Wie war ich?" rät die Frau, die ihm den Jogginganzug aus dem Theaterfundus besorgt hat. Alle lachen: die Requisiteurin, der Fotograf, sein Assistent, die Visagistin und sogar die Redakteurin, Spitzname neuerdings "Mutti". Fototermin mit Peter Lohmeyer. Schauplatz: eine Neubausiedlung in Bönningstedt bei Hamburg. Eine Woche nach dem Interview.

Nicht nur in "Zugvögel" ist Peter Lohmeyer der Kommissar. Auch in "Sieben Monde" oder in "Die Straßen von Berlin", um nur zwei Beispiele zu nennen. Ist jemand, der so oft Polizisten spielt, ein Spießer mit Reihenhaus und Rauhaarteckel? "Das mit der Kommissarhäufung ist Zufall. Ich hab auch schon viele Gangster gespielt", sagt er. Und zum Punkt Spießigkeit: "Ich habe nichts gegen eine bestimmte Kleinbürgerlichkeit in meinen vier Wänden. Die Sportschau ist mir unheimlich wichtig, mein Sofa auch, und ich kann mir vorstellen, mit 'nem Kasten Bier vor dem Fernseher zu sitzen. Aber der Begriff ,Spießer' ist natürlich supernegativ besetzt. Damit habe ich wenig zu tun." Und 'nen Dackel hat er auch nicht.

Der ballonseidene Lohmeyer hat für den Fotografen vom Garten nach drinnen in eine Sofalandschaft gewechselt. Und spielt Tipp-Kick-Fußball auf dem Couchtisch. Seine Figur hat das falsche Trikot: gelb-schwarz. Borussia Dortmund. Aber blau-weiß wie Schalke gibt's nicht. Die andere Figur hat was Rotes an. Und Bayern ist schließlich noch schlimmer. Er redet über Fußballmoderatoren. Johannes B. Kerner hasst er - überhaupt alle bei "ran" ("kommerzieller Scheiß!") Carmen Thomas fand er gut. Die Moderatorin, die wegen ihres Schalke-05-Versprechers aus dem Sportstudio geflogen ist. "Ich bin der einzige, der ihr verziehen hat", sagt er.

Lohmeyer findet Reihenhäuser nur gut, "wenn man nicht zwischen den Gärten 'ne Mauer hat und der Nachbar ruft: Ey, stell mal den Grill ab, ich kann nicht schlafen." Als er in Bochum studierte, übrigens nicht zuende, weil ein Theaterangebot lockte -, hat er mal in einer Zechensiedlung gelebt. Da steht genauso Haus an Haus, aber die sind meistens größer und grauer als die handelsübliche Reihenware. "Da steh ich schon drauf." Haus an Haus, Nachbar an Nachbar. Der letzte Streit mit seinen Nachbarn? "Wegen der Kinder." Eine ältere Dame fühlte sich in ihrer Mittagsruhe gestört. "Aber Kinder kannste ja nicht abstellen." Lohmeyer hat von zwei Damen vier Sprösslinge. Die liebt er über alles und von denen redet er gern und viel. Doch gerade denkt er über etwas anderes nach. "Nachbar, das ist ein guter Begriff. Es gibt ja auch en Begriff ,Nachbarschaftshilfe'. Oder diese furchtbaren Geschichten, wenn in einem Hochhaus keiner merkt, dass jemand tot im Bett liegt."

"Mädels, kommt mal her, und setzt euch zu mir." Peter Lohmeyer grinst und macht sich auf dem braun geblümten Sofa unter dem Bildnis einer schillergelockten Gräfin noch breiter. "Aber nackt."

Das Coq au vin wird abgeräumt. Der Teller ist leer, bis auf eine Kartoffel und die Salatgarnierung. Trotzdem meint er: "Det is eher was für Franzosen" Dann fällt ihm noch was zum Thema "Nachbar" ein: "Ich hatte mal 'nen klasse Nachbar in Dortmund, der hatte schon keine Zähne mehr, dabei war der nur ein bisschen älter als ich. Also, totales Chaos in meiner Bude. Streit mit meiner Freundin, glaub ich. Da komm ich raus und er steht in der Tür..." Lohmeyer zieht die Wangen nach innen "...und sacht ,Hömma, warum sollet dir besser geh'n wie mir, nä?'" Wenn er erzählt, bringt er es fertig, gleichzeitig zu berlinern und zu "pötteln". In Berlin arbeitet er viel. Das hat sich in der Sprache niedergeschlagen. Aber wenn er seinen zahnlosen Nachbarn mimt, beschränkt er sich auf pottdeutsch. Jede Rolle hat eben ihre eigene Sprache. Keine Sperenzchen. "Ich durfte als erster Deutscher in einer kubanischen Produktion spielen. Es hieß immer, wir machen das auf deutsch. Als ich da ankam, hatten die das geändert. Da musste ich spontan Spanisch lernen." Dass er das geschafft hat, nach eigenem Bekunden lernt er nämlich schlecht - und dass sein Spiel Anklang fand bei den Kubanern, darauf ist er stolz. Der Film "Kleines Tropikana" räumte prompt den Spezialpreis der Jury auf dem Filmfestival in Havanna ab. Demnächst kann Peter Lohmeyer seine Spanisch-Kenntnisse wieder anwenden: Er dreht zwei Monate in Buenos Aires.

Lohmeyer legt seine slipperverpackten Füße nach Bierbauchbesitzerart auf den Tisch. Plötzlich sieht er auf die Uhr und sagt: "Noch zwei Minuten." Dann ist es zwei und Peter Lohmeyer hat gesagt, um zwei geht er.

Wir sitzen schon Stunden in diesem Bistro. Die Serviererinnen werfen immer mal wieder fragende Blicke zu uns rüber. Woher, zum Teufel, kennen wir den? Lohmeyer gibt mir seinen silbernen Ring, der er nur schwer vom Mittelfinger der linken Hand abstreifen kann, wie das mit Ringen ist, die man lange trägt. "Du musst doch erkennen, was da drauf ist. Wo du doch auch aus dem Ruhrgebiet kommst." Der Ring ist etwa einen halben Zentimeter breit, und darauf sind Zechentürme eingraviert. "Ja, du weißt, was das ist" sagt er. "Aber du glaubst nicht, was die Leute raten, wenn die so was noch nie gesehen haben: mexikanische Zeichen oder so."
Dann schwärmt er von der Bochumer Goldschmiedin, die ihm den Ring gemacht hat, und malt mir gleich auf, wo ihre Werkstatt liegt. Die Bedeutung des Rings? "Heimat. Wenn der weg wäre, dann würd ich heulen. Kommt doch auch ganz gut, oder?" Er hält mir die Hand mit dem Schmuckstück vor die Nase. Ruhrgebiet ist ihm wichtig. Pommes rot-weiß, Schalke, Kioske in jeder Straße und das Bochumer Schauspielhaus. Dort, hieß es, möchte er mal Intendant werden. Coproduzieren - Kinofilme -, das macht er ja schon mit seiner Firma Glück Auf. "Bunte Hunde" etwa oder "Die Mutter des Killers" (beide 1995). Aber das mit dem Intendanten, das war doch eher Zukunftsmusik. "Das ist so ein Traum wie der, dass ich gern mal ,Das aktuelle Sportstudio' moderieren würde." Bei Peter Lohmeyer ist das immer so: Er hat ein Ding, das er sich konkret vorstellen kann. Und dazu noch einen Traum. "Fußballprofi werden" war der seiner Kindheit. Beim VfB Suttgart war er sogar mal in der C-Jugend. Die konkretere Berufsvorstellung, das war, nein, nix mit Theater. Sozialarbeiter wollte Klein-Peter werden: "Das waren die Heroes der Jugendfreizeiten. Da verliebten sich die Mädels rein. Und die hatten so ein echtes soziales Engagement. Coole Typen."

Er macht auch nach zwei noch mit. Nur werden seine Nörgelattacken immer häufiger. "Hast du noch ein Treffen mit deiner Traumfrau." fragt der Fotoassi. "Nee", meint sein Motiv. Wenn Perfektionist Lohmeyer weg will, hat das meistens was mit den Kindern zu tun. Oder mit Unterricht. Spanisch etwa. Oder Tango. In Buenos Aires will er sich ins Nachtleben stürzen, ohne sich schämen zu müssen, "weil die alle supertoll tanzen."

Peter Lohmeyer ist Pastorensohn. So ist er in seiner Jugend von Pfarrhaus zu Pfarrhaus gezogen. Mal nach Stuttgart. Aber meistens von einer Ruhrgebietsstadt in die andere. Ganz früher lebte er in Hagen. Da wollte er schon immer ein "Mopped" - mit kurzem O und Doppel-P - haben. Frau Tank, seine Hagener Lehrerin, hat prophezeit: "Mit'm Mopped fängt's an, und dann kommt Baader-Meinhof." Weil er sein Herkules-Mofa gegen eine Honda, ein richtiges "Mopped" eben, eintauschen wollte - und nur deswegen - hat er auch beim Kinder- und Jugendtheater Dortmund angefangen. Da gab's nämlich Kohle" für eine Rolle im Kinderstück Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" ("viel geiler als Zeitungen auszutragen"). Die Maschine hat Lohmeyer dann auch gekriegt. Und Lust auf Theater. Was daraus geworden ist, wissen wir.

Peter Lohmeyer hat den hellblauen Ballonseidentraum zurückgegeben. Ebenso das Eigenheim samt Zubehör. Jetzt geht er wirklich. Wohin, das lässt sein Blick mal wieder offen. Möglich, dass er gleich der Dame seines Herzens "Los, runter mit den Klamotten" zuflüstert. Aber wahrscheinlich holt er einfach nur seinen Sohn vom Fußball ab.

Reportage Literaturinstitut Leipzig (Allegra 1997)

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Reportage New York (Allegra 1998)

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