Montag, 14. Oktober 2013

ARTIKEL ÜBER BIOIDENTISCHE HORMONE (COSMOPOLITAN)



Medizinartikel in Cosmopolitan über naturidentische Hormone vs.

artifizielle Hormone (zum Vergrößern bitte Bilder anklicken). Ich suche mir die kompetentesten Interviewpartner zum jeweiligen Thema und gehe jedem Thema auf den Grund, etwa indem ich Studien und Fachliteratur zum Thema lese und vergleiche. Ich hinterfrage und lasse mich nicht mit oberflächlichem Blabla abspeisen.






FLYER STENA LINE




Beileger des Fährunternehmens Stena Line 
mit Texten von mir
(Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)

Dienstag, 29. Mai 2012

Reisereportage Kopenhagen (Geo Saison 2010)

 

                  
LIEBESPERLE KOPENHAGEN


Wieso sie ihr Temperamentsbündel am Meer so hinreißend finden? Fünf Kopenhagener Informanten, hin und weg von ihrer Stadt, geben uns gute Gründe. Weil Anders’ Lieblingsdüne einen Metro-Anschluss hat. Weil Julia im Hafen baden kann. Und weil Gitte hier tollen Schmuck findet, extravagante Retro-Mode – und eine der besten Bars der Welt



Anders Trentemøller, 35
ist Komponist, Musiker ("The Trentemøller Chronicles“ Audiomatique) und international gefragter DJ und Remixer (u.a. für die Pet Shop Boys, Moby). Er lebt seit 15 Jahren in Kopenhagen


„Als ich sie als Kind zum ersten Mal sah, dachte ich: Das ist die Frau? Dafür die Aufregung?“ Anders Trentemøller, der mit seinen blonden Haaren und blauen Augen wie der Prototyp eines Dänen aussieht, grinst. Die Rede ist von der Meerjungfrau, für die Kopenhagen so berühmt ist wie Brüssel für das Manneken Piss. In der Tat ist die Bronzeskulptur, die Hans Christian Andersens Märchenheldin zu Ehren auf einem Granitstein im Hafenbecken sitzt, mit ihren 125 cm eher – nun ja – unscheinbar. Doch das hielt Anders nicht davon ab, nach der Schule aus seinem Heimatort Vordingborg („Da hat man zwei Möglichkeiten: eine Band gründen oder Fußballprofi werden.“) in die Hauptstadt zu ziehen, wo er nun seit 15 Jahren lebt. Sein Lieblingsplatz ist das Kødbyen im Szenedistrikt Vesterbro. Das Schlachterviertel – Kødbyen heißt „Fleischdorf“ – entwickelt sich nach Vorbild des New Yorker Meat Packing Districts zum Magneten für Musik, Kunst und Szene. „Alle wollen ja eine brummende Metropole. Aber sobald man ein bisschen Lärm macht, beschweren sich die Nachbarn. Hier gibt’s endlich ideale Bedingungen.“ schwärmt der Künstler. 


Die „Jolene Bar“, das Lokal zweier Isländerinnen, ist Anders’ Zweitdomizil: Hier verbreiten Couchtische vom Sperrmüll, eine Yamaha-Orgel an der Wand und Topfpflanzen das Flair eines studentischen Wohnzimmers. Er nimmt einen Schluck aus seiner Flasche Brooklyn Lager: „Abends wird das Jolene zum Club, von Indie Rock über HipHop bis Techno gibt’s einfach alles.“ 
In vielen der flachen schmucklosen Gebäude ringsum findet man weiterhin Fleischerei-Großbetriebe und auf dem Asphalt dazwischen parken tagsüber die Kühl-LKW. Doch spätnachmittags, so gegen fünf, trudeln die ersten jungen Hauptstädter auf ihren Rädern ein.
Wie Anders tragen sie Parka und Chucks und sitzen an Holzbänken in der Sonne, während sich Kunstfreunde im klassisch-eleganten Outfit nebenan im Restaurant-Bar-Galerie-Hybrid „Karriere“ zum Aperitif versammeln. Sobald die Lichter angehen, wird es dann laut. Events gelten als cool, wenn sie im Kødbyen stattfinden. Hier hat etwa Mode-Designer Mads Nørgaard, so etwas wie Dänemarks Antwort auf Calvin Klein, zwischen farbbespritzten Fliesen seine Kollektion „Copenhagen“ präsentiert – als Film-Trilogie, Anders Trentemøller lieferte den Soundtrack. 


Wenn die Sonne scheint und der Musiker sich nicht auf Tournee oder im Jolene befindet, ist die Chance groß, dass er vier Kilometer südöstlich Sand unter den Fußsohlen spürt: Der „Amager Strandpark“ lässt sich vom Zentrum aus in 15 Minuten erreichen. Per Rad – oder per Bahn. „Einen Strand mit Metro-Anschluss, welche Stadt hat das schon?“ findet Anders. Kopenhagens vollautomatische Metro samt ihrer schlicht-futuristischen Haltestellen gilt bereits als Design-Klassiker, entworfen von den italienischen Kreativen bei Guigaro Design, die schon den ersten VW Golf gestaltet haben. Dabei wurde die erste Metroverbindung erst 2002 in Betrieb genommen, die Linie Richtung Flughafen kam 2007 hinzu und deren drei Strand-Haltepunkte (siehe Infoteil) wurden sogar erst 2008 eingeweiht. Bis 2017 soll das Netz noch erweitert werden und täglich bis zu 275.000 Fahrgäste transportieren. Zum Vergleich: Das zentrale Stadtgebiet beherbergt rund 500.000 Einwohner.
Verlässt man die Metro in Strandnähe, sieht man schon von weitem zwischen den Dünen wie Raumfähren anmutende Gebilde aus Beton. Im Abstand von ein paar hundert Metern ist dort Nahrhaftes für Strandläufer erhältlich, von Eiscreme bis Sushi. Insbesondere „Nummer Drei“ in der Mitte ist zum Treffpunkt geworden: Hier tanzen die Hauptstädter Salsa, Jungs üben sich in Capoeira – und abends gibt’s auch mal eine Outdoor-House-Party. 


Wer nun aber statt Metro das Rad nimmt und auf dem Weg zum Strand wummernden Bässen folgt, dem kann es passieren, dass er früher abzweigt und landet, wo Spontan-Partys ebenfalls zur Tradition gehören. Da, wo der Stadtteil Christianshavn mit Kanälen und Fachwerk aufhört wie eine Filiale von Amsterdam auszusehen und das Viertel beginnt, das der niederländischen Kapitale eher im Geiste nahe steht: Christiania. 1971 wurde hier auf früherem Militärareal von Hippies ein selbst verwalteter Mini-Staat ausgerufen. Für die einen, zu denen auch Anders gehört, ist Christiania darum ein Refugium der Freiheit. Für andere eins der Zentren des Kopenhagener Drogenhandels. Für die dritten ein Gelände in Top-Lage, wo sich viel Geld mit Luxus-Apartments verdienen ließe, wenn bloß diese Ökos das Feld räumten... Gelegentliche Straßenkämpfe mit der Polizei gibt’s hier darum ebenso wie Konzerte und Meditations-Workshops in selbst geschreinerten bunten Holzhäusern an einem See, der mal Befestigungsgraben war. Erstklassige Bio-Restaurants locken LOHAs und Studenten, an der nächsten Ecke mischt sich Marihuana-Geruch mit der Meerbrise. Doch die Anarchisten-Siedlung scheint dem Untergang geweiht. „Es ist eine Tragödie.“ findet Anders. „Die Stadt will sich Christiania einverleiben.“ Dann wird er vehement: „Wenn es eins gibt, was man in Kopenhagen nicht versäumen darf, dann ist das, Christiania anzuschauen – solange es noch geht.“ 


Gitte Jakobsen, 34
ist gebürtige Kopenhagenerin, Kinderkrankenschwester – und hat wie ihr Landsmann Lars von Trier einen Hang zum Mysteriösen

Gitte Jakobsen ist Kinderkrankenschwester in Kopenhagens größtem Krankenhaus, dem Rigs Hospital. Und es ist auch das berühmteste, seit Regisseur Lars von Trier hier zu Beginn der 90er seine Gänsehaut-TV-Serie „Hospital der Geister“ drehte. „Im Keller, wo die meisten der gruseligen Szenen spielen, bin ich täglich.“ sagt sie mit leicht ironischem Lächeln.„Es gibt Leute, die tatsächlich glauben, dass es bei uns Gespenster gibt. Da unten ist es wirklich unheimlich mit den langen Gängen und Lüftungsschächten. Aber manchmal geh ich sogar extra nachts hinunter, wenn es ganz leer ist. Ich mag die surreale Atmosphäre.“ Während sie das so erzählt, wirkt die Dunkelhaarige selbst wie die Heldin eines Mystery-Thrillers. Ist ihre Schicht tagsüber beendet, entspannt sie gern im Fælledpark direkt neben dem Hospital: „Den benutze ich als Garten. Kopenhagen hat so viele tolle Parks, da braucht man nicht mal ‘nen Balkon.“ Aber an ihren freien Tagen, und das passt nun wieder zu ihrer mysteriösen Ader, sonnt sie sich auch gern auf dem „Assistens Kirkegård“, Kopenhagens größtem Friedhof, auf dem Hans Christian Andersen und Søren Kirkegaard begraben sind. Der liegt ebenfalls nur fünf Fahrradminuten westlich vom Rigs Hospital entfernt. Und was in Deutschland undenkbar wäre – Picknick und Ping Pong zwischen Grabsteinen – ist hier nicht nur für unerschrockene Krankenschwestern ganz normal. 


„Ich reise viel und habe mal sechs Monate in Sydney gearbeitet.“ sagt Gitte, „Doch Kopenhagen ist schwer zu schlagen. Außerdem gibt’s hier die besten Männer: Die sehen gut aus, und es steckt auch was dahinter. In Sydney hatten die Jungs immer das Surfboard unterm Arm, Salzwasser im Haar – das war’s.“ Die schmucken Kerle besichtigt Gitte meist in Nørrebro, wo sie lebt. Das Viertel ist eins der so genannten „Brückenquartiere“ Østerbro, Nørrebro, Vesterbro und Amagerbro – „Bro“ bedeutetet „Brücke“ – die den Stadtkern wie ein Reif umgeben. Während aber zum Beispiel Østerbro eher ein ruhiges Wohnviertel für Besserverdiener ist, teilen sich das direkt daneben liegende Nørrebro Zuwanderer, Studenten, Kreative und weltoffene Leute wie Gitte. Türkische Gemüseläden und Geschäfte, in denen es – beispielsweise – Burkas aller Ausführungen gibt, wechseln sich ab mit angesagten Bars, Restaurants und Läden mit der Mode lokaler Designer. Alles ist hier tendenziell etwas günstiger als in Restkopenhagen. 


Gittes Lieblingslokal ist das „Plenum“ am weitläufigen Platz Sankt Hans-Torv. Denn das ist je nach Tageszeit und Krankenhausschicht nutzbar als Frühstückscafé, Lunchrestaurant oder Cocktailbar. „Sehr entspannt. Und lecker!“ Hellbrauner Backstein geht über in verputzte Wände, auf die Sprüche berühmter Menschen gepinselt sind. Stanley Kubrick wird ebenso zitiert wie Rosa Luxemburg. Bei Beatles-Sound sitzen die Gäste an alten Holzkisten und beschäftigen sich entweder mit Freunden oder dem mitgebrachten Laptop – kostenloses W-LAN gibt’s zum Cappuccino dazu. Gitte würde hier wohl noch viel öfter viel länger sitzen, läge nicht direkt um die Ecke in der Elmegade ihr persönliches Shoppingparadies aus vielen kleinen Souterrainläden. Auch jetzt muss sie „nur mal schnell gucken.“ Ihr favorisierter Schmuckladen, das „Cappalis“, ist montags geschlossen, darum geht es direkt weiter zu „Foxy Lady“. Parkett, Kronleuchter und roter Teppich sorgen für Atmosphäre. Gittes Wahl fällt auf eine leuchtend rote Jacke mit Gürtel, die im „Juice“ noch durch ein Paar Lederhandschuhe im Sonderangebot ergänzt wird. Und dann muss sie auch schon los – schlafen! Es ist zwar erst sechs Uhr abends, aber Nachtdienste, insbesondere solche mit Extra-Ausflügen in unheimliche Katakomben, fordern ihren Tribut. 




Kristian Ditlev Jensen, 39
ist Genießer, Schriftsteller (aktueller auf deutsch erschienener Roman „Von japanischen Brotbüchsen, indischen Göttern, komischen Alpendialekten, süßen Südstaaten, afrikanischen Kriechtieren und der Köstlichkeit des langsamen Reisens“ Hoffmann + Campe). Jensen arbeitet derzeit an seinem neuen Roman – und für das dänische Klimaministerium als Redenschreiber


In jeder Metropole gibt es diese Inseln. Orte, die manchmal mitten im Zentrum liegen und die trotzdem von den Haupt-Besucherströmen umflossen werden als seien sie nahezu unsichtbar. Das „Café Europa“ ist so ein Ort. Hier, im Herzen Kopenhagens am Hojbroplads, sitzen die Angestellten der umliegenden Geschäfte in ihrer Kaffeepause und Journalisten lesen beim Espresso in aller Ruhe ihre Tageszeitung. Die offenkundig Reisenden dagegen, also jene mit den wetterfesten bunten Jacken, Rucksäcken und Fotoapparaten, schieben sich eher vom Rathausplatz ausgehend durch die Fußgängerzone, den Strøget, um sich anschließend geradeaus im „Café Norden“ zu sammeln wie in einem Auffangbecken. Das liegt zwar direkt gegenüber dem Europa, aber die Trägheit der Masse lässt offenbar die kleine Rechtsbiegung nicht zu. Schriftsteller Kristian Ditlev Jensen liebt das Europa. Das Café trägt den Zusatz „1989“ im Namen – das Jahr des Mauerfalls, das Gründungsjahr des Cafés. „Da vorn hängt auch ein Stück Berliner Mauer.“ Kristian, der heute schreibzunftgerecht ein schwarzes Hemd zum Cordjackett mit Lederschonern am Ellbogen trägt, deutet vorbei an der Vitrine mit den in Trinkgläsern gebackenen Schichtkuchen und der geschwungenen schwarzen Bar. Dorthin, wo eine Bilderwand internationalen und dänischen Berühmtheiten Respekt zollt: von Hans Christian Andersen bis Willy Brandt. 


„Der Kaffee hier ist der beste in ganz Kopenhagen.“ erklärt der Autor. „Früher hat hier der World Champion der Espresso-Zubereitung gearbeitet, Martin Hildebrandt. Der ist jetzt nicht mehr Barista, sondern Manager, aber die Jungs und Mädels sind trotzdem gut.“ Bevor er anfing Bücher zu schreiben, war Kristian zunächst Film-Kritiker und dann Kaffee-Reporter für die Berlingske Tiden, eine von Dänemarks großen Tageszeitungen. „Ich wollte da Food-Redakteur werden und hatte gehofft, mich so an den Job ranpirschen zu können.“ Hat nicht geklappt. Zum Glück! Denn um sich den Traum doch irgendwie zu erfüllen, schrieb Jensen seinen auch auf deutsch erschienen Debütroman „Leibspeise“. Darin darf der Food-Journalist Robin McCoy das beruflich machen, was für Kristian Privatvergnügen ist: Schlemmen. Außer im Europa macht Kristian – dem man seine Liebe zum Genuss ein bisschen an den Körpermaßen ansieht – das besonders gern im Tivoli. Also jenem Kopenhagener Vergnügungspark, der 1843 vom damaligen Monarchen mit den Worten „wer sich amüsiert, politisiert nicht“ genehmigt wurde. Und für den die inzwischen demokratisch-parlamentarische Monarchie Dänemark – heißt: es gibt ein Parlament, aber das letzte Wort hat immer noch Königin Margarethe II. – auch heute noch so berühmt ist wie für ihr Design. 


Lange schien er auf dem absteigenden Ast zu sein, aber seit einigen Jahren erstrahlt der Tivoli in neuem Glanz. Wo Farbe abblätterte, wurde gestrichen, jeden Freitag gibt’s nun hochkarätige Pop-Konzerte und selbst ein Restaurant mit Michelin-Stern kann man inzwischen vorweisen, das „The Paul“. Das von Kristian bevorzugte „Grøften“ allerdings ist, wie es schon immer war: Über den Köpfen schweben Miniaturballons, eine Erinnerung daran, dass aus dieser Senke – „Grøften“ heißt “der Graben“ – vor 100 Jahren Heißluftballons starteten. Wer sich hier an den Tischen mit rosa-weiß kariertem Tuch niederlässt, trinkt große Humpen dänischen Biers und isst Smørrebrød-Kreationen, die Namen tragen wie Dyrlægens Natmad – das Nachtmahl des Tierarzts. Ein Brot, das unter anderem mit Leberpastete und einem rustikalen Rechteck aus gelierter Bouillon belegt ist. „ Hier ist es sehr folkelig.“ sagt Kristian, hier ist jeder gleich. „Prominente kommen ebenso her wie Familien beim Sonntagausflug.“ Die besten Smørrebrød indes, verrät der Schriftsteller, gibt es nicht im Tivoli, sondern in einem traditionell dänischen Ecklokal zwei Straßen weiter. Dass das ausgerechnet „Tivoli Hallen“ heißt, kann schon mal zu Verwirrung führen.


Julia Calmann, 30
ist Make-up-Artistin für Dänemarks größte Model-Agentur „Scoop“. Sie hat bei ihren Jobs schon viel von der Welt gesehen. Aber Kopenhagen mag sie am liebsten


Wenn Julia Calmann ausspannen will, nimmt sie ihr Rad und fährt hinunter nach Islands Brygge, dem Stadtteil südwestlich des Hafens. Dort biegt sie an der Langebro, der „langen Brücke“, rechts ab und radelt vorbei an den Spontanpartys tanzender Teenies, vorbei an verliebten Pärchen auf dem Holzsteg, vorbei an den Outdoor-Jazz-Konzerten im Kulturhuset. Sie lässt den umgedrehten alten Kahn auf Stelzen links liegen, der heute Besuchern als Sonnendach dient, die den spektakulären Blick auf die Skyline genießen möchten. Sie radelt bis ganz ans Ende der Grünanlage Bryggensgård. Dort wirft sie ihr Rad auf den Rasen, nimmt Anlauf und springt einfach rein. Mitten ins Hafenbecken. Kopfüber. „Ich mag es nicht, langsam ins Wasser zu klettern. Das muss schnell gehen. Alle meine Freunde machen das so.“ Weiter vorn, direkt an der Langebro, gibt es auch ein offizielles Schwimmbad, das Københavns Havnebad, auch das liegt im – überraschenderweise – recht sauberen Hafenwasser. Aber das ist was für Touristen und Weicheier. Findet Julia, die auch mit ihrem gekonnten Mix aus 70er und 80er-Retro-Mode beweist, dass sie Mut zum Aus-der-Rolle-Fallen hat. Außerdem hat das Bad nicht immer geöffnet, wenn sie frei hat – als Make-up-Artistin für Kopenhagens größte Modelagentur „Scoop“ hat sie zum Teil verrückte Arbeitszeiten. Mode-Shootings oder Werbedreharbeiten richten sich nun mal nach Licht und Wetter. 


„Ich bin viel in Europa herumgekommen, war in Barcelona und Berlin und Paris, aber Kopenhagen im Sommer ist einfach die wundervollste Stadt.“ sagt sie. „Überall ist Wasser und Wind.“ Später, wenn sie sich trocken gerubbelt hat und der Hunger sich meldet, den man nun mal bekommt vom Schwimmen – dann radelt sie wieder quer durch die Stadt, Richtung Norden. Kopenhagen ist zwar ohne Zweifel eine Metropole, aber dennoch so klein, dass man fast alles mit dem Rad erreichen kann. Das Gebiet der „Kommune København“ umfasst 88 Quadratkilometer – und ist damit sogar 11 Quadratkilometer kleiner als die Fläche Sylts. 
Nach einer Viertelstunde erreicht Julia das „Republic Blegdammens Stjerne“ in Nørrebro, direkt gegenüber des Rigs Hospital, in dem Gitte arbeitet und sie selbst geboren wurde. Von außen sieht das Restaurant mit dem großen roten Stern auf der Markise aus wie fast jedes Café, aber innen scheint das Licht eine Patina zu bekommen: Cremeweiße Möbel von denen ein pittoreskes bisschen die Farbe abblättert, an der hinteren Wand sogar eine alte Kirchenbank. Gestärkte weiße Tischdecken. Roter Teppich. An goldgetönten Wänden prangt ein getrockneter Lavendelstrauß, ein namenloses Plattencover oder ein alter Kofferanhänger. Und hinter der Theke hängt eine alte Kopenhagen-Karte von 1910. „Das ist ein Ort fürs Herz.“ meint Julia, „für romantische Dates. Hier gibt’s außerdem die beste Crème Brulée! Und erst der Salat mit gebackenem Ziegenkäse. Ach, und hatte ich erwähnt, dass man hier exzellente Weine bekommt?“ Bisher nicht – aber man glaubt es aufs Wort.




Kirsten Holm, 49 
wurde zwar in Bangkok geboren, weil ihr Vater dort fürs dänische Außenministerium arbeitete, aber seit ihrem neunten Lebensjahr lebt sie in Kopenhagen. Sie gilt als eine der besten Barfrauen und ihre „K-Bar“ als eine der besten Bars - der Welt


Im Zentrum der Galaxie herrscht Ruhe. Jedenfalls in der Galaxie namens „K-Bar“ handelt: Im afrikanischen Blumenkleid steht das „K“ alias Chefin Kirsten Holm da und lässt vorsichtig Ingredienzien in ein Glas rinnen. Dann fügt sie Kräuter hinzu als handele es sich um einen Zaubertrank, bevor sie den Pear & Cardamom Sidecar mit souveräner Handgelenk-Drehung vor dem Gast landen lässt. Vorbei an der Orchidee auf der Bar, hinweg über ein Meer aus Flaschen mit unzähligen trinkbaren Preziosen aus aller Welt. Unberührt davon, dass sich um sie herum alles im Chaos befindet: Aufgekratzt, angeheitert und samstagabendschön drängt sich die In-Crowd Kopenhagens in Kirstens kleiner Bar am Kanal „Ved Stranden“, insgeheim froh nicht von dem blonden Türsteher ausgesiebt worden zu sein, der problemlos als Armani-Model durchginge. Kürzlich hat eine Reporterin herausgefunden, dass Kirsten nicht nur zu den besten Barchefs der Welt zählt – sondern die einzige Frau auf ihrem Niveau ist. Als sie die 47jährige damit konfrontierte, war die ebenso geschmeichelt wie überrascht. „Klar, ich hab ein paar Preise gewonnen, aber Wettbewerbe halten einen nur von der Arbeit ab.“ 


Viel lieber möchte Kirsten Neues erfinden. Dafür reist sie um die Welt, das ist die Tochter eines Außenministeriums-Mitarbeiters seit frühester Kindheit gewohnt. Kirsten fliegt mal eben nach New York, Paris oder, wie jüngst, nach Reykjavik so wie andere einen Ausflug in den Stadtpark machen. Sie liest Bücher, besucht Lokale der Konkurrenz, aber auch Ausstellungen, Museen. Mit den mehr als 60 Museen Kopenhagens hat sie da auch daheim eine reiche Auswahl. „Was ich sehe und erlebe, beeinflusst meine Arbeit.“ sagt sie. Derzeit interessiert sie die Molecular Mixology, bei der mit Zutaten experimentiert wird als seien sie Substanzen aus einem Chemiebaukasten. Heraus kommt dann schon mal eine schaumförmige Piña Colada oder Drinks, in denen wie flüssige Bonbons Bläschen mit Pfefferminzsirup schwimmen. Holm ist sich nicht sicher, was sie davon halten soll. „Ich will ja keine prätentiösen Mode-Drinks mit Gimmicks anbieten, sondern richtig gute!“ 


Diese Einstellung brachte ihr Anfang der 90er ihren vorherigen Job als Barchefin im „Royal“ ein, dem ersten Design-Hotel der Welt. Das liegt mitten im Herzen der dänischen Hauptstadt, je zwei Minuten zu Fuß von Rathaus, Tivoli und Bahnhof entfernt und wurde 1960 von der Wendeltreppe bis zum Zahnputzbecher von Arne Jacobsen gestaltet. „Die Vorhänge! Der Schreibtisch!“ Kirsten bemüht sich gar nicht erst, ihre Begeisterung zu verbergen, als sie in Zimmer 606 steht, mit seinem Atem beraubendem Blick über Kopenhagen. Man erwartet fast, dass jeden Moment der junge Connery mit Bondgirls im Arm zur Tür hereinspaziert und den türkisfarbenen Vorhang vor dem Doppelbett zur Seite zieht... Während in den übrigen Zimmern zeitgenössisches Design Einzug gehalten hat, hat man hier alles so gelassen, wie es war: Ei- und Schwan-Sessel, Aschenbecher, Teppich, Schreibtisch, Badewanne, alles vom Meister persönlich entworfen. Dazu rattert, davor sei jeder potenzielle Gast gewarnt, ebenfalls die ohrenbetäubende Original-Klimaanlage. 


Auch im gut hundert Meter entfernten „Nimb“ wird Kirsten mit Bussi Bussi empfangen. Sommelier Jacob Kocemba ist ein Freund von ihr und verantwortlich für den Weinkeller mit 1134 Weinen, den man mit der schweren Holztür und dem Backsteinfußboden auch gut in der Provence vermuten könnte. Jedes Zimmer des Nimb ist mit Antiquitäten eingerichtet und alle – bis auf die Nummer 14 – haben einen offenen Kamin. Die Neueröffnung des Luxus-Palasts am Rande des Tivoli ist nach Komplettumbau zwei Jahre her. Man setzt auf exklusive Geschmackserlebnisse: Mit eigener Meierei, Chocolaterie, mehreren Restaurants und Bistros. Auf der Straßenseite gibt’s sogar eine Nobel-Würstchen-Bude. Da werden die „Pølser“, die berühmten dänischen Wurstbrötchen, aus Entenbrust zubereitet und mit Rosmarin und Dijon-Senf serviert. „Ich mag das Nimb, denn ich bin nun mal ein alter Snob.“ kommentiert Kirsten verschmitzt. 


Vom Hauptbahnhof gegenüber erreicht man in gut zehn Minuten per S-Bahn Valby am Stadtrand. Auf den ersten Blick wirkt es, als gäbe es hier nichts außer Wohnblocks und Industrieanlagen. Doch wer sich Zeit nimmt, die Eingangsschilder zu studieren, entdeckt, dass sich in vielen der ehemaligen Industriegebäude inzwischen Galerien eingenistet haben. Wie die von Helene Nyborg. Wenn Kirsten Zeit hat, kommt sie hierher. Auch jetzt vertieft sie sich fasziniert in die Exponate, ebenso federleichte wie komplizierte Scherenschnitt-Konstruktionen des Künstlers Peter Callesen. Wer weiß, vielleicht gibt es demnächst in der K-Bar einen neuen Cocktail. Federleicht, aber kompliziert in der Zubereitung. 





Montag, 28. Mai 2012

Porträt Juli Zeh (Allegra 2001)

SIE KANN SICH EINFACH NICHT ENTSCHEIDEN*


*Das Gute daran ist: Von dieser Unentschlossenheit wird die Autorin Juli Zeh getrieben. Wie sonst sind drei Uniabschlüsse, eine amtliche Essaypreissammlung und nun ein Debütroman zu erklären?  



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Sommer 1993. Ein Campingplatz irgendwo im Süden Japans. Zwei junge Europäerinnen schlagen ihr Zelt auf. Der Platz ist wie ausgestorben. Und der Taxifahrer gerade ist mit quietschenden Reifen wieder abgefahren. Warum wohl der Sprecher im Radio eben diese eine Durchsage ständig wiederholt hat? Doch weil die Reisenden kein Japanisch können, jung sind und die Welt nur kommen soll, denken sie sich nichts dabei. Windig hier draußen. Man könnte sogar von Sturm sprechen. Die zwei packen – vorsichtshalber - ihre Pässe in die Hosentaschen, wichtige Sachen in die Rucksäcke und die Rucksäcke auf den Rücken. Wenig später klammern sie sich an einen Baum. Der Taifun, vor dem der Radiosprecher gewarnt hatte, schnappt sich das Zelt. Die Frauen beten. Acht Stunden lang.


Sommer 2001. Es war warm in Leipzig in den letzten Tagen. In Juli Zehs riesiger Altbau-Küche segeln dicke schwarze Flocken durch die Luft. Vorbei am Lemonbabies-„Porn“-Plakat und dem Tisch mit einem Durcheinander aus Kerzen, Tabak, Zeitungen, Reiseführern über Kroatien und der Erstfassung von Julis soeben erschienenem Debütroman Adler und Engel. Juli hockt in Jeans und T-Shirt barfuß auf dem Fußboden. In der einen Hand hält sie eine Kaffeetasse, die sie mit einer selbst gedrehten Zigarette abwechselt, in der anderen eine Schermaschine. Hund Othello, acht, eine Mixtur aus Riesenschnauzer und Unschuldslamm, bekommt seine Sommerfrisur. „Wenn ich mit ihm fertig bin“ sagt sie, „sieht er aus wie ein Zierfisch. Vorn und hinten Wuschel, in der Mitte nichts.“ Im Moment wirkt er allerdings eher wie ein schwarzer Flokati, der zur Hälfte einem Rasenmäher zum Opfer gefallen ist.
 Während Juli also schert und trinkt und raucht, alles gleichzeitig, erzählt sie. Von Japan, damals, kurz nach dem Abi. „Klingt richtig lustig heute, oder?“ Ihre selbst gestaltete Frisur - irgendwo zwischen Prinz Eisenherz und Charlotte Roche  - umkränzt dekorativ ein breites Grinsen. Dann nimmt Juli einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und ihre blauen Augen werden ganz schmal und grinsen mit. „Aber damals, als wir an diesem Baum hingen, haben wir gedacht: Das war’s.“ Sich selbst in Situationen zu bringen, die neu sind und aufregend, dabei ab und zu auch mal lebensgefährlich, darin ist Juli Zeh perfekt. Herausforderungen sind dazu da, dass man sie annimmt. Wird schon gut gehen.

 Juli Zeh ist, seit dem 30. Juni – ausgerechnet Juni  - 27 Jahre alt. Sie hat in ihrem Leben bis jetzt eine Menge Herausforderungen angenommen. Meistens ein paar gleichzeitig. Darum hat sie in einem Alter, in dem andere Leute vielleicht gerade mal ihr Erststudium beenden, drei Uniabschlüsse in der Tasche. Der Reihe nach: Das beste Staatsexamen Sachsens in Jura. Ein Diplom in Literarischem Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig – wegen des Instituts ist die Bonnerin auch vor sechs Jahren nach Leipzig gekommen. Und dazu noch einen Magister in einem Aufbaustudiengang zu Internationalem Recht. Als wäre das nicht schon mehr als andere in fünfzig Jahren erreichen, sammelt sie nebenbei Essaypreise wie andere Robbie-Williams-CDs. Und dann ist da natürlich der Roman. „Ich kann mich schlecht entscheiden,“ sagt sie lapidar dazu „und dann mache ich alles auf einmal."
Was ich mich immer gefragt habe, sagt Clara bei Nürnberg, ist, wie man dazu kommt, sich für ein Jurastudium zu entscheiden. (...) Ich bin kein typisches Beispiel, sage ich. Ich habe mir einfach das Studium ausgesucht, das ich mir am wenigsten zutraute.

 Jura jedenfalls hat Juli schon immer interessiert. Ihr Vater, selber Jurist, arbeitet in Berlin am Bundestag. Und, wer weiß, vielleicht  hat sein Versuch, der Tochter das Studium auszureden, für die den Ausschlag zum Anfangen gegeben. Die meint allerdings: „Er wollte nur testen, ob ich wirklich will.“ Ob sie wirklich schreiben will, musste niemand testen. So etwas steht auch für Eltern außer Frage, wenn die Tochter die ersten Erzählungen mit zwölf fertig hat.
 Das letzte Wort zu Adler und Engel hat Juli vor etwa einem Jahr geschrieben. Adler und Engel ist eine Geschichte um den Ich-Erzähler Max. Max ist – wen wundert’s – Anwalt. Er wird am Telefon Zeuge des Selbstmordes seiner Freundin. Er resigniert, beschließt, auf sein Ende zu warten, das er mittels Drogenkonsum beschleunigen will. Doch die Radiomoderatorin Clara, in deren Sendung er angerufen hat, entführt ihn von Leipzig nach Wien, wo er früher gelebt hat. Clara zwingt ihn, seine Vergangenheit aufzurollen. Nach und nach stellt sich heraus, dass Max‘ Leben und seine Liebe zutiefst verstrickt sind mit den Kriegen in Bosnien, politischen Entscheidungen und einer internationalen Drogenbande. Schriftsteller Burkhard Spinnen war Julis Lektor und bescheinigt ihr im Klappentext ein „furioses“ Debüt. Sicher ist: Die Geschichte ist fesselnd und phantastisch geschrieben. So eindringlich, dass man beim Lesen zu Schwitzen beginnt, weil es im Buch ständig wahnsinnig heiß ist.
 Wir prallten gegen die Hitze wie gegen einen unsichtbaren Abwehrschirm. Die Stadt wollte nicht betreten werden. (...)Die Stille war absurd für das Zentrum einer Großstadt, wie auf freiem Feld, nur ohne Grillen.

 Othello ist fertig frisiert. Lag er eben noch reglos wie ein müder Käfer auf dem Rücken, rast er jetzt wie ein wild gewordener Staubsauger kreuz und quer durch die Küche und reibt sich am rauen Teppichboden, einem grauen Relikt aus DDR-Zeiten. Der Juckreiz nach der Rasur ist der Preis für ein heißes Leben an der Seite seines Frauchens. Das verbringt den Sommer mit Vorliebe in Städten, die dafür bekannt sind, dass sich die Straßen dort zwischen Juni und September in gigantische Grills verwandeln. Wien etwa, lange Zeit Julis erklärter Lieblingsfleck auf dieser Erde. Dort hat sie in Kaffeehäusern gekellnert. Und natürlich geschrieben. In New York hat sie später ein Praktikum bei der UNO gemacht . Ein Vierteljahr lebte sie darum in dieser Stadt, die viele für die aufregendste der Welt halten. Frau Zeh blieb unbeeindruckt: „Nach einer Woche habe ich mich gelangweilt.“ Dafür nutzte  sie ihre intimen Kenntnisse für den Roman: „Ich habe die New Yorker UNO nach Wien transportiert.“ Ein Teil der Handlung spielt in der Wiener UNO-City. Juli: „Und da war ich noch nie drin.“
Ich fuhr mit der U-Bahn in den Zweiundzwanzigsten Bezirk und rannte eine halbe Stunde lang über die dicken Teppichböden auf den Korridoren von Block B, (...)

 Viel interessanter als die Welt westlich des Atlantiks findet Juli alles im Osten. „Mein Ostfieber“ nennt sie das. Ihren Roman hat sie in Krakau vollendet. Dort war sie für ein Jura-Auslandssemester  hingegangen. Selbstverständlich ohne ein Wort Polnisch zu sprechen. Sonst wäre das mit der Herausforderung ja nichts geworden. Als sie beim Vermieter ihres Zimmers vorstellig wurde, machte der sie zwischen Tür und Angel mit seinem Sohn bekannt. „Eine merkwürdige Szene. Wir haben uns umständlich im Treppenhaus über das Geländer hinweg die Hand gegeben.“ So fangen in Romanen Liebesgeschichten an. Oder im Leben von Romanschriftstellerinnen. Woitek, so der Name des Herrn, taucht fortan immer wieder in Julis Domizil auf. Und weil der junge Mann neben seinem Job als Produktionsmanager für Film und TV auch noch fotografiert – das Autorenfoto hinten auf dem Roman stammt von ihm – ist Juli bald in der Lage auf polnisch über die Lichtverhältnisse auf einem Foto zu reden. „Aber in der Bäckerei stand ich da und konnte keine Brötchen bestellen.“ Für Woitek  wirft sie ihre siebenjährige Beziehung „in Sekunden“ über Bord. Und bleibt nach Semesterende einfach länger in Krakau. Weil da die Liebe hingefallen ist. Die größte Herausforderung vielleicht.
Max, sagte er, liebe sie. Lass sie nie etwas anderes spüren. Zu Herbert und mir wird sie nicht zurückkommen.

  Wenn man Juli Zeh etwas erzählt, kann es sein, dass sie plötzlich einen Notizblock zückt und sagt: „Moment, muss ich aufschreiben.“ Solche Notizen verarbeitet sie später in ihren Texten. Und wenn man ihr – zum Beispiel - von einer heimlichen Liebschaft  erzählt und sie dann bittet, das nicht zu verwenden? Sie feixt: „Dann sollte man es lieber nicht erzählen.“ Genau darum lesen sich ihre Szenen so authentisch. Und Authentizität ist Juli wichtig. Im Roman kommen fast ausschließlich reale Orte vor. Selbst eine Shell-Tankstelle an der Protagonist Max nachts ein Eis kauft. Die liegt gleich um die Ecke von Julis früherer Wohnung. Direkt neben monströsen Fernwärmerohren, über deren Krümmungen er einmal nachgrübelt.  Auch das in den Holzfußboden gesägte Loch, in dem Juli als Kind Manuskripte vor ihrer sehr interessierten Mutter – einer Übersetzerin - versteckt hat, taucht auf. Dazu eine Handvoll Ereignisse, die irgendwer irgendwann mal erlebt hat, ein Schuss Insider-Wissen aus dem Jura-Milieu und eine Prise Charakterzüge echter Personen. Alles angerichtet mit  Phantasie.
Die Straßenbahnen winden sich, von innen erleuchtet, zwischen den Häuserreihen hindurch. Vielleicht habe ich geschlafen, bäuchlings auf  der Fensterbank.

 Für die nächste Zeit hat Juli Zeh schon mal ein paar Herausforderungen zusammengetragen. Eine Promotion ist angedacht: „Die Magisterarbeit ließe sich vielleicht ausweiten dazu.“ Ihr nächster Roman auch: „Eine Geschichte über dieses Phänomen meiner Generation, in der zurzeit alle ständig reisen. Ich habe Freunde in Prag, Amsterdam, Barcelona, Wien...“ Dann noch ein literarischer Reiseführer über den Balkan. Dort war sie zu Recherchen gerade unterwegs: „Das gibt’s nämlich noch nicht, so was.“ Aber erst mal muss sie nach Breslau, wo Woitek inzwischen des Berufs wegen hingezogen ist. Danach nach Warschau wegen einer Buchmesse. Dazwischen noch nach München. Dann steht das Jura-Referendariat an. Und die Freunde wollen auch besucht sein. Wer Juli Zeh kennt, weiß: Sie wird sich nicht  für eins dieser Dinge entscheiden. Sondern für alle.
 Wir nehmen die Straßenbahn. Ich kaufe Fahrscheine für uns und den Hund, obwohl Clara sich halb totlacht darüber. Schwarzfahren überstieg schon immer meine Nervenkraft.

  Sommer 2001. Der wunderbare Satz „Zum Halten bitte Fahrgastwunsch betätigen“ steht  von innen über der Tür der Leipziger Straßenbahn. Von außen versprach die Beschriftung „Ticket-Automat  im Wagen“. Eine junge Frau steht nervös mit einem großen Hund, der wie ein Zierfisch aussieht – vorn und hinten Wuschel, in der Mitte nichts –vor dem Automaten im Wagen, der nur Geldkarten nimmt. Sie hat keine Geldkarte, wer hat so was schon? Und Schwarzfahren ist nun wirklich die einzige Herausforderung, die sie nicht gerne annimmt.

Spousonomics (Cosmopolitan 2011)

Partnerschaftsthema für die Cosmopolitan. Zum Lesen bitte Anklicken

Porträt Peter Lohmeyer (Allegra 1998)


KEIN MANN FÜR EINE NACHT 

Der Schauspieler Peter Lohmeyer hat nix gegen Kleinbürger, aber Spießer kann er nicht leiden. Ein Porträt über einen Mann, der feine Unterschiede macht

Breitbeinig sitzt der Mann auf dem Sofa. Er ist noch nicht alt, sechsunddreißig, aber er hat seinen Körper schon begraben in hellblauer Ballonseide. Er nestelt das Rippenunterhemd aus der Jogginghose und betrachtet gedankenverloren seinen blassen Bauchnabel. Viele schwarze Haare kräuseln sich dort. "Sacht ma, habt ihr auch so viele Fusseln da?" sagt er zu den anderen Menschen im Zimmer. Gleich wird er rufen: "Mutti, hol ma Bier ausse Küche: Sportschau."

Ich sitze in einem Hamburger Bistro mit adrett orange gewischten Wänden und weiß nicht, was mir Peter Lohmeyers Blick sagen will. Aber er sagt was. Passen würde: "Kleine, runter mit den Klamotten." Oder: "Was? Die haben mir 'ne Frau geschickt?" Oder: "Auf Sie ist eine Knarre gerichtet." So was in der Art.
Macho, schwieriger Charakter, charismatischster Star des deutschen Kinos. Zitate über Peter Lohmeyer, die durch meinen Kopf schwirren. Wird der Typ, der da gerade Coq au vin und "Perrier" bestellt, mir mehr antworten als "ja", "nein" und kein Kommentar"? Aber ich weiß: Der Mann kommt aus dem Ruhrpott. Ich auch. Deshalb setze ich auf Solidarität und erzähle ihm von meinem Studium. Mein Plan funktioniert. "Wo hast du denn studiert?" fragt er. "In Essen", sage ich. Da guckt er schräg von unten hoch und grinst.

Nachdem der Mann den Rasen vor dem Reihenhaus ordentlich gemäht hatte, waren die Rhododendren mit dem Gießen dran. Jetzt ist er fertig mit der Gartenarbeit. "Nicht den Schlauch über den Rasen ziehen, dann wird der dreckig" sagt er zu Mutti, die den gelben Wasserschlauch gerade aufwickeln will. Er hebt ihn auf, sagt: "Geh ma lieber rein, Spargel kochen."

In Essen wollte Peter Lohmeyer auch mal studieren. Schauspiel. An der Folkwang-Schule. "Die haben mir erzählt: Sie sind begabt, aber Sie haben 'nen Sprachfehler. Ich hab gedacht: Sind die bekloppt? Dafür sind die doch da, dass sie mir was beibringen." In Hamburg und Bochum wollten sie ihn dann doch. Der Punkt ging an Bochum. Lohmeyer spielt am Schalke-04-Armband. In Gelsenkirchen-Schalke gibt es keine Schauspielschule.

Eine weißhaarige Dame späht über den Gartenzaun in den frisch gesäten Vorgarten. Warum um alles in der Welt fotografieren die beiden jungen Männer da einen Herrn im Jogginganzug beim Rasensprengen?

Der Mann hat in Filmen wie "Kaspar Hauser" mitgewirkt, aber auch die Theaterbühne gehört zu seinem Aktionsfeld. Gerade kommt sein neuer Film ins Kino: "Zugvögel... einmal nach Inari". Mit Joachim Król, einem alten Freund von Lohmeyer, in der Hauptrolle. Ein Speditionsbeifahrer will zu einem Zugfahrplanwettbewerb nach Nordfinnland. Vorher schlägt er noch seinen Chef ko, weil der ihn entlassen hat. Der Chef wird kurz darauf tot aufgefunden. Lohmeyer ist der Kommissar, der den Verdächtigen nach Finnland verfolgt und dabei langsam selber verrückt wird nach Fahrplänen. Dafür ist er für den Bundesfilmpreis nominiert worden. Seine Rechnung, den Kriminalbeamten schnörkellos zu geben, ist aufgegangen. "Ich hab gedacht: Der Mann kommt aus Dortmund. Da gibt's nicht viele Sperenzchen."

Im Ballonseidenanzug herrscht gelöste Stimmung. "Was sagt ein Macho, wenn er einen geblasen gekriegt hat?" fragt sein Träger. "Wie war ich?" rät die Frau, die ihm den Jogginganzug aus dem Theaterfundus besorgt hat. Alle lachen: die Requisiteurin, der Fotograf, sein Assistent, die Visagistin und sogar die Redakteurin, Spitzname neuerdings "Mutti". Fototermin mit Peter Lohmeyer. Schauplatz: eine Neubausiedlung in Bönningstedt bei Hamburg. Eine Woche nach dem Interview.

Nicht nur in "Zugvögel" ist Peter Lohmeyer der Kommissar. Auch in "Sieben Monde" oder in "Die Straßen von Berlin", um nur zwei Beispiele zu nennen. Ist jemand, der so oft Polizisten spielt, ein Spießer mit Reihenhaus und Rauhaarteckel? "Das mit der Kommissarhäufung ist Zufall. Ich hab auch schon viele Gangster gespielt", sagt er. Und zum Punkt Spießigkeit: "Ich habe nichts gegen eine bestimmte Kleinbürgerlichkeit in meinen vier Wänden. Die Sportschau ist mir unheimlich wichtig, mein Sofa auch, und ich kann mir vorstellen, mit 'nem Kasten Bier vor dem Fernseher zu sitzen. Aber der Begriff ,Spießer' ist natürlich supernegativ besetzt. Damit habe ich wenig zu tun." Und 'nen Dackel hat er auch nicht.

Der ballonseidene Lohmeyer hat für den Fotografen vom Garten nach drinnen in eine Sofalandschaft gewechselt. Und spielt Tipp-Kick-Fußball auf dem Couchtisch. Seine Figur hat das falsche Trikot: gelb-schwarz. Borussia Dortmund. Aber blau-weiß wie Schalke gibt's nicht. Die andere Figur hat was Rotes an. Und Bayern ist schließlich noch schlimmer. Er redet über Fußballmoderatoren. Johannes B. Kerner hasst er - überhaupt alle bei "ran" ("kommerzieller Scheiß!") Carmen Thomas fand er gut. Die Moderatorin, die wegen ihres Schalke-05-Versprechers aus dem Sportstudio geflogen ist. "Ich bin der einzige, der ihr verziehen hat", sagt er.

Lohmeyer findet Reihenhäuser nur gut, "wenn man nicht zwischen den Gärten 'ne Mauer hat und der Nachbar ruft: Ey, stell mal den Grill ab, ich kann nicht schlafen." Als er in Bochum studierte, übrigens nicht zuende, weil ein Theaterangebot lockte -, hat er mal in einer Zechensiedlung gelebt. Da steht genauso Haus an Haus, aber die sind meistens größer und grauer als die handelsübliche Reihenware. "Da steh ich schon drauf." Haus an Haus, Nachbar an Nachbar. Der letzte Streit mit seinen Nachbarn? "Wegen der Kinder." Eine ältere Dame fühlte sich in ihrer Mittagsruhe gestört. "Aber Kinder kannste ja nicht abstellen." Lohmeyer hat von zwei Damen vier Sprösslinge. Die liebt er über alles und von denen redet er gern und viel. Doch gerade denkt er über etwas anderes nach. "Nachbar, das ist ein guter Begriff. Es gibt ja auch en Begriff ,Nachbarschaftshilfe'. Oder diese furchtbaren Geschichten, wenn in einem Hochhaus keiner merkt, dass jemand tot im Bett liegt."

"Mädels, kommt mal her, und setzt euch zu mir." Peter Lohmeyer grinst und macht sich auf dem braun geblümten Sofa unter dem Bildnis einer schillergelockten Gräfin noch breiter. "Aber nackt."

Das Coq au vin wird abgeräumt. Der Teller ist leer, bis auf eine Kartoffel und die Salatgarnierung. Trotzdem meint er: "Det is eher was für Franzosen" Dann fällt ihm noch was zum Thema "Nachbar" ein: "Ich hatte mal 'nen klasse Nachbar in Dortmund, der hatte schon keine Zähne mehr, dabei war der nur ein bisschen älter als ich. Also, totales Chaos in meiner Bude. Streit mit meiner Freundin, glaub ich. Da komm ich raus und er steht in der Tür..." Lohmeyer zieht die Wangen nach innen "...und sacht ,Hömma, warum sollet dir besser geh'n wie mir, nä?'" Wenn er erzählt, bringt er es fertig, gleichzeitig zu berlinern und zu "pötteln". In Berlin arbeitet er viel. Das hat sich in der Sprache niedergeschlagen. Aber wenn er seinen zahnlosen Nachbarn mimt, beschränkt er sich auf pottdeutsch. Jede Rolle hat eben ihre eigene Sprache. Keine Sperenzchen. "Ich durfte als erster Deutscher in einer kubanischen Produktion spielen. Es hieß immer, wir machen das auf deutsch. Als ich da ankam, hatten die das geändert. Da musste ich spontan Spanisch lernen." Dass er das geschafft hat, nach eigenem Bekunden lernt er nämlich schlecht - und dass sein Spiel Anklang fand bei den Kubanern, darauf ist er stolz. Der Film "Kleines Tropikana" räumte prompt den Spezialpreis der Jury auf dem Filmfestival in Havanna ab. Demnächst kann Peter Lohmeyer seine Spanisch-Kenntnisse wieder anwenden: Er dreht zwei Monate in Buenos Aires.

Lohmeyer legt seine slipperverpackten Füße nach Bierbauchbesitzerart auf den Tisch. Plötzlich sieht er auf die Uhr und sagt: "Noch zwei Minuten." Dann ist es zwei und Peter Lohmeyer hat gesagt, um zwei geht er.

Wir sitzen schon Stunden in diesem Bistro. Die Serviererinnen werfen immer mal wieder fragende Blicke zu uns rüber. Woher, zum Teufel, kennen wir den? Lohmeyer gibt mir seinen silbernen Ring, der er nur schwer vom Mittelfinger der linken Hand abstreifen kann, wie das mit Ringen ist, die man lange trägt. "Du musst doch erkennen, was da drauf ist. Wo du doch auch aus dem Ruhrgebiet kommst." Der Ring ist etwa einen halben Zentimeter breit, und darauf sind Zechentürme eingraviert. "Ja, du weißt, was das ist" sagt er. "Aber du glaubst nicht, was die Leute raten, wenn die so was noch nie gesehen haben: mexikanische Zeichen oder so."
Dann schwärmt er von der Bochumer Goldschmiedin, die ihm den Ring gemacht hat, und malt mir gleich auf, wo ihre Werkstatt liegt. Die Bedeutung des Rings? "Heimat. Wenn der weg wäre, dann würd ich heulen. Kommt doch auch ganz gut, oder?" Er hält mir die Hand mit dem Schmuckstück vor die Nase. Ruhrgebiet ist ihm wichtig. Pommes rot-weiß, Schalke, Kioske in jeder Straße und das Bochumer Schauspielhaus. Dort, hieß es, möchte er mal Intendant werden. Coproduzieren - Kinofilme -, das macht er ja schon mit seiner Firma Glück Auf. "Bunte Hunde" etwa oder "Die Mutter des Killers" (beide 1995). Aber das mit dem Intendanten, das war doch eher Zukunftsmusik. "Das ist so ein Traum wie der, dass ich gern mal ,Das aktuelle Sportstudio' moderieren würde." Bei Peter Lohmeyer ist das immer so: Er hat ein Ding, das er sich konkret vorstellen kann. Und dazu noch einen Traum. "Fußballprofi werden" war der seiner Kindheit. Beim VfB Suttgart war er sogar mal in der C-Jugend. Die konkretere Berufsvorstellung, das war, nein, nix mit Theater. Sozialarbeiter wollte Klein-Peter werden: "Das waren die Heroes der Jugendfreizeiten. Da verliebten sich die Mädels rein. Und die hatten so ein echtes soziales Engagement. Coole Typen."

Er macht auch nach zwei noch mit. Nur werden seine Nörgelattacken immer häufiger. "Hast du noch ein Treffen mit deiner Traumfrau." fragt der Fotoassi. "Nee", meint sein Motiv. Wenn Perfektionist Lohmeyer weg will, hat das meistens was mit den Kindern zu tun. Oder mit Unterricht. Spanisch etwa. Oder Tango. In Buenos Aires will er sich ins Nachtleben stürzen, ohne sich schämen zu müssen, "weil die alle supertoll tanzen."

Peter Lohmeyer ist Pastorensohn. So ist er in seiner Jugend von Pfarrhaus zu Pfarrhaus gezogen. Mal nach Stuttgart. Aber meistens von einer Ruhrgebietsstadt in die andere. Ganz früher lebte er in Hagen. Da wollte er schon immer ein "Mopped" - mit kurzem O und Doppel-P - haben. Frau Tank, seine Hagener Lehrerin, hat prophezeit: "Mit'm Mopped fängt's an, und dann kommt Baader-Meinhof." Weil er sein Herkules-Mofa gegen eine Honda, ein richtiges "Mopped" eben, eintauschen wollte - und nur deswegen - hat er auch beim Kinder- und Jugendtheater Dortmund angefangen. Da gab's nämlich Kohle" für eine Rolle im Kinderstück Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" ("viel geiler als Zeitungen auszutragen"). Die Maschine hat Lohmeyer dann auch gekriegt. Und Lust auf Theater. Was daraus geworden ist, wissen wir.

Peter Lohmeyer hat den hellblauen Ballonseidentraum zurückgegeben. Ebenso das Eigenheim samt Zubehör. Jetzt geht er wirklich. Wohin, das lässt sein Blick mal wieder offen. Möglich, dass er gleich der Dame seines Herzens "Los, runter mit den Klamotten" zuflüstert. Aber wahrscheinlich holt er einfach nur seinen Sohn vom Fußball ab.

Reportage Schwedisch lernen in drei Wochen (Welt am Sonntag 2009)

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