Montag, 28. Mai 2012

Porträt Peter Lohmeyer (Allegra 1998)


KEIN MANN FÜR EINE NACHT 

Der Schauspieler Peter Lohmeyer hat nix gegen Kleinbürger, aber Spießer kann er nicht leiden. Ein Porträt über einen Mann, der feine Unterschiede macht

Breitbeinig sitzt der Mann auf dem Sofa. Er ist noch nicht alt, sechsunddreißig, aber er hat seinen Körper schon begraben in hellblauer Ballonseide. Er nestelt das Rippenunterhemd aus der Jogginghose und betrachtet gedankenverloren seinen blassen Bauchnabel. Viele schwarze Haare kräuseln sich dort. "Sacht ma, habt ihr auch so viele Fusseln da?" sagt er zu den anderen Menschen im Zimmer. Gleich wird er rufen: "Mutti, hol ma Bier ausse Küche: Sportschau."

Ich sitze in einem Hamburger Bistro mit adrett orange gewischten Wänden und weiß nicht, was mir Peter Lohmeyers Blick sagen will. Aber er sagt was. Passen würde: "Kleine, runter mit den Klamotten." Oder: "Was? Die haben mir 'ne Frau geschickt?" Oder: "Auf Sie ist eine Knarre gerichtet." So was in der Art.
Macho, schwieriger Charakter, charismatischster Star des deutschen Kinos. Zitate über Peter Lohmeyer, die durch meinen Kopf schwirren. Wird der Typ, der da gerade Coq au vin und "Perrier" bestellt, mir mehr antworten als "ja", "nein" und kein Kommentar"? Aber ich weiß: Der Mann kommt aus dem Ruhrpott. Ich auch. Deshalb setze ich auf Solidarität und erzähle ihm von meinem Studium. Mein Plan funktioniert. "Wo hast du denn studiert?" fragt er. "In Essen", sage ich. Da guckt er schräg von unten hoch und grinst.

Nachdem der Mann den Rasen vor dem Reihenhaus ordentlich gemäht hatte, waren die Rhododendren mit dem Gießen dran. Jetzt ist er fertig mit der Gartenarbeit. "Nicht den Schlauch über den Rasen ziehen, dann wird der dreckig" sagt er zu Mutti, die den gelben Wasserschlauch gerade aufwickeln will. Er hebt ihn auf, sagt: "Geh ma lieber rein, Spargel kochen."

In Essen wollte Peter Lohmeyer auch mal studieren. Schauspiel. An der Folkwang-Schule. "Die haben mir erzählt: Sie sind begabt, aber Sie haben 'nen Sprachfehler. Ich hab gedacht: Sind die bekloppt? Dafür sind die doch da, dass sie mir was beibringen." In Hamburg und Bochum wollten sie ihn dann doch. Der Punkt ging an Bochum. Lohmeyer spielt am Schalke-04-Armband. In Gelsenkirchen-Schalke gibt es keine Schauspielschule.

Eine weißhaarige Dame späht über den Gartenzaun in den frisch gesäten Vorgarten. Warum um alles in der Welt fotografieren die beiden jungen Männer da einen Herrn im Jogginganzug beim Rasensprengen?

Der Mann hat in Filmen wie "Kaspar Hauser" mitgewirkt, aber auch die Theaterbühne gehört zu seinem Aktionsfeld. Gerade kommt sein neuer Film ins Kino: "Zugvögel... einmal nach Inari". Mit Joachim Król, einem alten Freund von Lohmeyer, in der Hauptrolle. Ein Speditionsbeifahrer will zu einem Zugfahrplanwettbewerb nach Nordfinnland. Vorher schlägt er noch seinen Chef ko, weil der ihn entlassen hat. Der Chef wird kurz darauf tot aufgefunden. Lohmeyer ist der Kommissar, der den Verdächtigen nach Finnland verfolgt und dabei langsam selber verrückt wird nach Fahrplänen. Dafür ist er für den Bundesfilmpreis nominiert worden. Seine Rechnung, den Kriminalbeamten schnörkellos zu geben, ist aufgegangen. "Ich hab gedacht: Der Mann kommt aus Dortmund. Da gibt's nicht viele Sperenzchen."

Im Ballonseidenanzug herrscht gelöste Stimmung. "Was sagt ein Macho, wenn er einen geblasen gekriegt hat?" fragt sein Träger. "Wie war ich?" rät die Frau, die ihm den Jogginganzug aus dem Theaterfundus besorgt hat. Alle lachen: die Requisiteurin, der Fotograf, sein Assistent, die Visagistin und sogar die Redakteurin, Spitzname neuerdings "Mutti". Fototermin mit Peter Lohmeyer. Schauplatz: eine Neubausiedlung in Bönningstedt bei Hamburg. Eine Woche nach dem Interview.

Nicht nur in "Zugvögel" ist Peter Lohmeyer der Kommissar. Auch in "Sieben Monde" oder in "Die Straßen von Berlin", um nur zwei Beispiele zu nennen. Ist jemand, der so oft Polizisten spielt, ein Spießer mit Reihenhaus und Rauhaarteckel? "Das mit der Kommissarhäufung ist Zufall. Ich hab auch schon viele Gangster gespielt", sagt er. Und zum Punkt Spießigkeit: "Ich habe nichts gegen eine bestimmte Kleinbürgerlichkeit in meinen vier Wänden. Die Sportschau ist mir unheimlich wichtig, mein Sofa auch, und ich kann mir vorstellen, mit 'nem Kasten Bier vor dem Fernseher zu sitzen. Aber der Begriff ,Spießer' ist natürlich supernegativ besetzt. Damit habe ich wenig zu tun." Und 'nen Dackel hat er auch nicht.

Der ballonseidene Lohmeyer hat für den Fotografen vom Garten nach drinnen in eine Sofalandschaft gewechselt. Und spielt Tipp-Kick-Fußball auf dem Couchtisch. Seine Figur hat das falsche Trikot: gelb-schwarz. Borussia Dortmund. Aber blau-weiß wie Schalke gibt's nicht. Die andere Figur hat was Rotes an. Und Bayern ist schließlich noch schlimmer. Er redet über Fußballmoderatoren. Johannes B. Kerner hasst er - überhaupt alle bei "ran" ("kommerzieller Scheiß!") Carmen Thomas fand er gut. Die Moderatorin, die wegen ihres Schalke-05-Versprechers aus dem Sportstudio geflogen ist. "Ich bin der einzige, der ihr verziehen hat", sagt er.

Lohmeyer findet Reihenhäuser nur gut, "wenn man nicht zwischen den Gärten 'ne Mauer hat und der Nachbar ruft: Ey, stell mal den Grill ab, ich kann nicht schlafen." Als er in Bochum studierte, übrigens nicht zuende, weil ein Theaterangebot lockte -, hat er mal in einer Zechensiedlung gelebt. Da steht genauso Haus an Haus, aber die sind meistens größer und grauer als die handelsübliche Reihenware. "Da steh ich schon drauf." Haus an Haus, Nachbar an Nachbar. Der letzte Streit mit seinen Nachbarn? "Wegen der Kinder." Eine ältere Dame fühlte sich in ihrer Mittagsruhe gestört. "Aber Kinder kannste ja nicht abstellen." Lohmeyer hat von zwei Damen vier Sprösslinge. Die liebt er über alles und von denen redet er gern und viel. Doch gerade denkt er über etwas anderes nach. "Nachbar, das ist ein guter Begriff. Es gibt ja auch en Begriff ,Nachbarschaftshilfe'. Oder diese furchtbaren Geschichten, wenn in einem Hochhaus keiner merkt, dass jemand tot im Bett liegt."

"Mädels, kommt mal her, und setzt euch zu mir." Peter Lohmeyer grinst und macht sich auf dem braun geblümten Sofa unter dem Bildnis einer schillergelockten Gräfin noch breiter. "Aber nackt."

Das Coq au vin wird abgeräumt. Der Teller ist leer, bis auf eine Kartoffel und die Salatgarnierung. Trotzdem meint er: "Det is eher was für Franzosen" Dann fällt ihm noch was zum Thema "Nachbar" ein: "Ich hatte mal 'nen klasse Nachbar in Dortmund, der hatte schon keine Zähne mehr, dabei war der nur ein bisschen älter als ich. Also, totales Chaos in meiner Bude. Streit mit meiner Freundin, glaub ich. Da komm ich raus und er steht in der Tür..." Lohmeyer zieht die Wangen nach innen "...und sacht ,Hömma, warum sollet dir besser geh'n wie mir, nä?'" Wenn er erzählt, bringt er es fertig, gleichzeitig zu berlinern und zu "pötteln". In Berlin arbeitet er viel. Das hat sich in der Sprache niedergeschlagen. Aber wenn er seinen zahnlosen Nachbarn mimt, beschränkt er sich auf pottdeutsch. Jede Rolle hat eben ihre eigene Sprache. Keine Sperenzchen. "Ich durfte als erster Deutscher in einer kubanischen Produktion spielen. Es hieß immer, wir machen das auf deutsch. Als ich da ankam, hatten die das geändert. Da musste ich spontan Spanisch lernen." Dass er das geschafft hat, nach eigenem Bekunden lernt er nämlich schlecht - und dass sein Spiel Anklang fand bei den Kubanern, darauf ist er stolz. Der Film "Kleines Tropikana" räumte prompt den Spezialpreis der Jury auf dem Filmfestival in Havanna ab. Demnächst kann Peter Lohmeyer seine Spanisch-Kenntnisse wieder anwenden: Er dreht zwei Monate in Buenos Aires.

Lohmeyer legt seine slipperverpackten Füße nach Bierbauchbesitzerart auf den Tisch. Plötzlich sieht er auf die Uhr und sagt: "Noch zwei Minuten." Dann ist es zwei und Peter Lohmeyer hat gesagt, um zwei geht er.

Wir sitzen schon Stunden in diesem Bistro. Die Serviererinnen werfen immer mal wieder fragende Blicke zu uns rüber. Woher, zum Teufel, kennen wir den? Lohmeyer gibt mir seinen silbernen Ring, der er nur schwer vom Mittelfinger der linken Hand abstreifen kann, wie das mit Ringen ist, die man lange trägt. "Du musst doch erkennen, was da drauf ist. Wo du doch auch aus dem Ruhrgebiet kommst." Der Ring ist etwa einen halben Zentimeter breit, und darauf sind Zechentürme eingraviert. "Ja, du weißt, was das ist" sagt er. "Aber du glaubst nicht, was die Leute raten, wenn die so was noch nie gesehen haben: mexikanische Zeichen oder so."
Dann schwärmt er von der Bochumer Goldschmiedin, die ihm den Ring gemacht hat, und malt mir gleich auf, wo ihre Werkstatt liegt. Die Bedeutung des Rings? "Heimat. Wenn der weg wäre, dann würd ich heulen. Kommt doch auch ganz gut, oder?" Er hält mir die Hand mit dem Schmuckstück vor die Nase. Ruhrgebiet ist ihm wichtig. Pommes rot-weiß, Schalke, Kioske in jeder Straße und das Bochumer Schauspielhaus. Dort, hieß es, möchte er mal Intendant werden. Coproduzieren - Kinofilme -, das macht er ja schon mit seiner Firma Glück Auf. "Bunte Hunde" etwa oder "Die Mutter des Killers" (beide 1995). Aber das mit dem Intendanten, das war doch eher Zukunftsmusik. "Das ist so ein Traum wie der, dass ich gern mal ,Das aktuelle Sportstudio' moderieren würde." Bei Peter Lohmeyer ist das immer so: Er hat ein Ding, das er sich konkret vorstellen kann. Und dazu noch einen Traum. "Fußballprofi werden" war der seiner Kindheit. Beim VfB Suttgart war er sogar mal in der C-Jugend. Die konkretere Berufsvorstellung, das war, nein, nix mit Theater. Sozialarbeiter wollte Klein-Peter werden: "Das waren die Heroes der Jugendfreizeiten. Da verliebten sich die Mädels rein. Und die hatten so ein echtes soziales Engagement. Coole Typen."

Er macht auch nach zwei noch mit. Nur werden seine Nörgelattacken immer häufiger. "Hast du noch ein Treffen mit deiner Traumfrau." fragt der Fotoassi. "Nee", meint sein Motiv. Wenn Perfektionist Lohmeyer weg will, hat das meistens was mit den Kindern zu tun. Oder mit Unterricht. Spanisch etwa. Oder Tango. In Buenos Aires will er sich ins Nachtleben stürzen, ohne sich schämen zu müssen, "weil die alle supertoll tanzen."

Peter Lohmeyer ist Pastorensohn. So ist er in seiner Jugend von Pfarrhaus zu Pfarrhaus gezogen. Mal nach Stuttgart. Aber meistens von einer Ruhrgebietsstadt in die andere. Ganz früher lebte er in Hagen. Da wollte er schon immer ein "Mopped" - mit kurzem O und Doppel-P - haben. Frau Tank, seine Hagener Lehrerin, hat prophezeit: "Mit'm Mopped fängt's an, und dann kommt Baader-Meinhof." Weil er sein Herkules-Mofa gegen eine Honda, ein richtiges "Mopped" eben, eintauschen wollte - und nur deswegen - hat er auch beim Kinder- und Jugendtheater Dortmund angefangen. Da gab's nämlich Kohle" für eine Rolle im Kinderstück Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" ("viel geiler als Zeitungen auszutragen"). Die Maschine hat Lohmeyer dann auch gekriegt. Und Lust auf Theater. Was daraus geworden ist, wissen wir.

Peter Lohmeyer hat den hellblauen Ballonseidentraum zurückgegeben. Ebenso das Eigenheim samt Zubehör. Jetzt geht er wirklich. Wohin, das lässt sein Blick mal wieder offen. Möglich, dass er gleich der Dame seines Herzens "Los, runter mit den Klamotten" zuflüstert. Aber wahrscheinlich holt er einfach nur seinen Sohn vom Fußball ab.

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